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Reisebericht in den Zeiten von Corona und Abzug der ausländischen Truppen

Im Rahmen dieser Reise war ich vor allem in der Dewanbegi Tagesklinik im 5. Distrikt in West-Kabul. Aufgrund von Coronamaßnahmen konnte diese Reise erst nach eineinhalbjährger Pause stattfinden.

Obwohl die Corona-Situation sowohl in Deutschland wie auch in Afghanistan unübersichtlich war, habe ich mich aufgrund der Dringlichkeit endlich dazu entschlossen, trotz dieser beiden großen Herausforderungen diese Reise anzutreten. Davor wurde ich immer wieder von Freunden und Kollegen gewarnt.

Als ich am 21. März nach Kabul kam, wurde an diesem Tag das neue Jahr (1400) begonnen. Bis zu vier Tage lang habe ich niemanden meine Hand gegeben oder umarmt; ich habe mich auf Distanz zu den Menschen begeben. Auch war ich meistens der Einzige, der unter vielen Menschen eine Maske getragen hat. Viele Afghanen sagten mir, es gebe zur Zeit kein Corona in Afghanistan.

Dies alles hat auch mein Verhalten beeinflusst und nach einer Woche habe ich mich mitunter so wie die andern Menschen verhalten und meinen MitarbeiterInnen und Mitmenschen angepasst. Aber dennoch habe ich mir so häufig in der Klinik die Hände gewaschen und desinfiziert, dass ich leichte Rötungen an den Händen bekommen habe.

Ich habe mich natürlich nach der Coronas-Situation in Afghanistan erkundigt. Leider konnte ich keine verlässlichen Statistiken dafür eruieren.

In fachlichen Kreisen herrschte die Meinung, dass im Sommer 2020 in den Großstädten sehr viele Menschen (60-90%) mit dem Coronavirus infiziert wurden. Zahlreiche Menschen sind auch darunter verstorben, andere haben mit nur leichten Symptomen oder gar symptomfrei diese Seuche überlebt.

Obwohl in Indien die dritte Welle sehr viele Menschen getroffen hat, war diese in Afghanistan und vor allem in Kabul bis April und Mitte Mai nicht angekommen. Erst Anfang Juni, nach meiner Rückkehr, hat die indische Variante Afghanistan erreicht und es sind sehr viele Menschen betroffen. Es erkranken Tag für Tag immer mehr Menschen und es erliegen auch immer mehr von ihnen.

Die neue Delta-Variation ist seit Ende April 2021 in Afghanistan angekommen und hat zu vielen Erkrankungen und Todesfällen geführt. Die Gesundheitseinrichtungen sind völlig überfordert und auf diese Anzahl der Patienten nicht vorbereitet. Die in den letzten Monaten umgerüsteten Corona-Krankenhäuser weisen auf Grund von Platzmangel Patienten zurück und haben ihre Tore für diese geschlossen. Selbst in Kabul herrscht ein Mangel an Sauerstoffflaschen, obwohl diese für den 4-fachen Preis gehandelt wurden. Erst im April 2021 hat Afghanistan die ersten Impfungen durchgeführt. Bisher wurde nur 0,5 der Bevölkerung vorständig gegen Corona geimpft. Die Impfstoffe (ca 1 Mio Dosen) kamen aus Indien und China.

Die Tatsache, dass zum 11.September 2021 alle Nato-Soldaten Afghanistan verlassen, stellt alle AfghanInnen vor große Herausforderungen. Viele hatten Sorgen und manche auch Ängste, was in der Folge passieren würde. Es wurde auch darüber diskutiert, ob die Afghanische Regierung fallen wird und die Taliban komplett die Macht übernehmen könnten. Manche haben diese Situation mit der des Abzugs der sowjetischen Soldaten im Jahr 1989 verglichen, die zum weiteren Zerfall der staatlichen Strukturen und einem jahrelang andauernden Bürgerkrieg geführt hatte. Diese Unsicherheit und auch die Corona-Pandemie haben viele Menschen, vor allem Tagelöhner und Kleinhändler, zu weiterer Armut bis hin zum Ruin getrieben. So spürte man bei vielen Menschen diese Angst um die Zukunft. Diese Perspektivlosigkeit hat dazu geführt, dass viele daran gedacht  haben das Land zu verlassen.

Auf ersten Blick ist mir am ersten Tag aufgefallen, dass sich die Zahlen der PatientInnen, welche die Klinik aufsuchen, deutlich erhöht haben. Wo früher im Durchschnitt 50-60 PatientInnen pro Tag gekommen waren, waren die Zahlen bis Ende März bei 60-70 PatientInnen.

Dies hat mir und allen anderen Mitwirkungen Kraft gegeben, um in dieser schwierigen Situation weiter zu machen. Besonders, wenn wir sahen, dass so viele mit großen Hoffnungen kamen, dass die Klinik und ihre Mitarbeiter sich ihrer gesundheitlichen Fragen und Bedürfnissen annehmen und die Menschen ihr Vertrauen in die Dienstleistungen der Klinik zeigen. Die beiden Flure der Klinik, Keller und Erdgeschoss, waren bis mittags meistens voll. Als Vorsichtsmaßnahme für Corona mussten wir manchmal Patienten vor dem Gebäude warten lassen.