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Heilungsversuche an einem sehr kranken Patienten. Donaukurier

Ingolstadt (hl) Dass auch in dieser Runde nicht der Schlüssel zum ungefährdeten Erfolg gefunden würde, war schon vorab klar. Dennoch hat eine Podiumsdiskussion am Rande des Bundeswehr-Infotages auf dem Rathausplatz (Bericht oben) am Samstag im VHS-Haus klargemacht, dass die Bundesrepublik mit ihrem Konzept für Auslandseinsätze und speziell für die Mission in Afghanistan nicht so falsch liegt: Wären alle beteiligten Nationen am Hindukusch bei ihren Projekten so bedacht und rücksichtsvoll vorgegangen, so das Fazit des Entwicklungshelfers Fritz Neuberg von der Hilfsorganisation ADRA, könnte die Sicherheitslage in dem Bürgerkriegsland heute wohl besser sein – „und die Menschen dort hätten ein anderes Bild“.
Gemeint ist das Bild der ISAF-Truppen, das nach zwölfjährigem Engagement der Nato bei den Afghanen offenbar durch viele Irritationen getrübt ist. Der afghanische Arzt Yahya Wardak von der Aufbauorganisation Afghanic übte als Podiumsteilnehmer vor allem an den USA heftige Kritik. Sie hätten bei der Einsetzung einer neuen afghanischen Regierung seinerzeit teils mit Verbrechern paktiert und suchten erst jetzt – zu spät – die Einbindung der Taliban. Generell sei der Westen mit vielen Ansätzen seiner Hilfspolitik in Afghanistan gescheitert. Wardak: „Ihre Politiker verstehen das Land nicht.“

Unter Moderation von DK-Chefredakteur Gerd Schneider diskutierten im Rudolf-Koller-Saal neben den genannten Aufbauhelfern auch Christine Toetzke, Referatsleiterin im Berliner Entwicklungshilfeministerium, der CSU-Bundestagsabgeordnete Reinhard Brandl, der auch Mitglied im Verteidigungsausschuss ist, und Oberstleutnant Maik Keller, als Chef des Ingolstädter Gebirgspionierbataillons quasi Gastgeber des Aktionstages.

Toetzke und Brandl machten vor den rund 100 Zuhörern klar, dass es sich Bundesregierung und Parlament mit ihren Entscheidungen zu militärischen Hilfsaktionen nie leicht machen. Man brauche aber in der Regel durch Truppen garantierte Sicherheit, um in Krisengebieten langfristige Entwicklungshilfe leisten zu können. Toetzke: „Wir denken in Jahrzehnten.“

„Die Szenarien sind alle unterschiedlich“, machte Reinhard Brandl klar, „aber wir stellen uns vorher immer dieselben Fragen.“ Dabei gehe es auch stets um die Langzeitchancen von Hilfsmaßnahmen. Man lerne jetzt viel am Hindukusch, so der Abgeordnete, doch „Afghanistan ist keine Blaupause, das wird es so nicht mehr geben“.

Oberstleutnant Keller, bis vor Kurzem noch selber ins ISAF-Kommando eingebunden, bedauerte, dass seinem Eindruck nach die Chancen, die sich aus einer zumindest zeitweisen Befriedung des Landes ergeben hätten, von den Afghanen nicht entschlossen genug für einen grundlegenden Neubeginn genutzt worden seien: „Man hätte sich mehr einbringen können, dann wäre mehr erreicht.“

Und so ist das Land auch nach 30 Jahren Krieg nach Auffassung des Mediziners Wardak immer noch ein „sehr kranker Patient“, dem nur unter allergrößten Anstrengungen zu helfen ist. Unter den anderen Podiumsgästen, aber auch im sehr sachkundigen Publikum, wollte sich allerdings niemand von Wardak einreden lassen, dass sich Deutschland mit seiner Konzeption der Hilfestellung Vorwürfe machen muss, das Pferd völlig falsch aufgezäumt zu haben. Entwicklungshelfer Neuberg lenkte den Blick denn auch auf die Komplexität der Gesamtlage: Solange Regionalmächte wie Pakistan hier ihr eigenes Süppchen kochten, bleibe die Situation unberechenbar. Erstellt am 29.09.2013. aktualisiert am 31.01.2017 um 20:24 Uhr

Von Bernd Heimerl
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