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dpa-Reportage: Frieden auf die harte Tour

KORR-Ausland/Nahost/Konflikte/ (dpa-Reportage – aktualisierte Neufassung) Frieden auf die harte Tour: «Libyen heißt Euch mit offenen Armen willkommen, abgesehen von den Israelis…»

Von Anne-Beatrice Clasmann, dpa Kairo (dpa) –

Erschöpft und leicht entnervt sitzen die Friedensaktivsten im obersten Stockwerk des Kairoer Mittelklassehotels «Ceasar’s Palace» um einen langen L-förmigen Tisch herum. Es ist der neunte Tag ihrer Reise in einem alten Feuerwehrauto, die am 5. März in Jerusalem begonnen hat und die sie bis in die libysche Hauptstadt Tripolis führen soll. Die Stimmung tendiert Richtung Gefrierpunkt. Nur die arabischen und israelischen Teilnehmer sind noch zu Witzen aufgelegt. Das mag daran liegen, dass ihnen das Chaos, das die Reisenden auf ihrer Reise durch eine der instabilsten Regionen der Welt wie ein Schatten begleitet, nicht fremd ist. Vieles klappt nicht so wie erwartet. Die Libyer wollen ihnen keine Visa ausstellen. Das Camping auf dem Sinai wurde gestrichen, nachdem ein ägyptischer Polizist in heller Aufregung mit dem Satz auf den Lippen «Hier liegen überall Minen» angelaufen kam. Und ob aus der angekündigten Kameltour an den Pyramiden etwas wird, ist auch noch nicht klar. Für den Weltfrieden sind die zehn Aktivisten und ihre Begleiter unterwegs, die von der Organisation Breaking the Ice auf große Fahrt durch den Nahen Osten und Nordafrika geschickt worden sind. Nach dem Motto: Wer Frieden zwischen den Völkern anstrebt, sollte bei sich selbst anfangen.

«Friedlicher sind wir aber bisher nicht geworden», stellt Yahya Wardak in belustigtem Ton fest. Er stammt aus dem Dauerkonfliktherd Afghanistan und ist für diese Tour aus seiner neuen Heimatstadt Bonn angereist. «Na, zumindest entkomme ich dem Bonner Karnevalstreiben», bemerkt er trocken und rückt seine traditionelle afghanische Kappe zurecht. «Wüste ist besser als Karneval.» Dass im Team Spannungen vorprogrammiert sind, zeigt schon die Teilnehmerliste. Da ist der Iraker Latif Yahia, der durch sein Buch «Ich war Saddams Sohn» bekannt wurde. Darin erzählt er – inklusive grausiger Details – über seine Zeit als Doppelgänger von Udai Saddam

Hussein, des wegen seiner Brutalität gefürchteten Sohnes des irakischen Ex-Machthabers. Der bullige Iraker, Jahrgang 1964, gibt gerne den Ton an. «Ich habe Firmen mit 300 Angestellten», stellt er sich vor. Sehr introvertiert und fast schüchtern wirkt dagegen der 19 Jahre jüngere Palästinenser Mohammed al-Ardschah. Der freundliche junge Mann mit dem sanften Lächeln musste während des zweiten Palästinenseraufstandes (Intifada) erleben, wie sein Cousin nach einem Gefecht an einem Kontrollpunkt der israelischen Armee starb. «Vor der Intifada hatte ich noch Kontakt zu Israelis gehabt, dass riss dann aber ab», sagt er leise. Zu dem ungleichen Männergespann, das auf der Reise zueinander gefunden hat, gesellt sich oft die Iranerin Neda Sarmast, die seit neun Jahren in den USA lebt. Sie ist in praktischer Kleidung und perfekt geschminkt zu der Krisensitzung in dem etwas schäbigen Hotelrestaurant erschienen. Als das Team zu Beginn der Reise in Jerusalem zu einer Pressekonferenz mit Ex-Ministerpräsident Schimon Peres eingeladen wurde, hatte sich Sarmast, aus Angst vor einem Einreiseverbot oder anderen Repressalien des iranischen Staates, etwas abseits gehalten. Im Internet-Tagebuch der Gruppe schrieb sie dazu später: «Ich habe (meinen Freunden im Iran) erklärt, dass ich hier wegen einer Friedensmission bin und nicht, um eine politische Botschaft zu verkünden, aber ich wusste, dass die iranische Regierung in Israel ihren Erzfeind sieht und dass meine Aktion deshalb nicht positiv beurteilt werden würde.»

Wie Wardak, Yehia, Al-Ardasch und Sarmast, so haben auch die anderen Friedenssucher aus Israel, den USA und der Ukraine alle ihre persönlichen Erfahrungen mit Kriegen, Konflikten oder Terrorismus. Deshalb hat sie die Organisation mit Sitz in Berlin, die diese Expedition auf die Beine gestellt hat, schließlich auch ausgewählt. «Bisher haben wir nur über praktische Problem gestritten», berichtet der Afghane aus Bonn, während er sein Bündel für die Weiterreise in Richtung libysche Grenze schnürt. «Für politischen Streit hatten wir noch gar keine Zeit.» Auch Galit Oren, die neben ihm in der Hotellobby sitzt und gerade Nadel und Faden zückt, um ihre Hose am Bund auszubessern, ist trotz der schlechten Stimmung bei der Versammlung guter Dinge. Die

Israelin, die 1995 ihre Mutter bei einem Selbstmordanschlag auf einen Bus verloren hatte, scherzt mit einem tibetischen Mönch, der die Gruppe begleitet. Sie lacht laut. Er lächelt fast unmerklich. An dem langen oberen Tisch im Restaurant diskutieren derweil der New Yorker Feuerwehrmann Dan Sheridan, der die Terroranschläge vom 11. September 2001 hautnah erlebt hat, und der ukrainische Soldat Jewgen Kozhuschko. Der Ukrainer, der nach dem Sturz des Saddam- Regimes im Irak stationiert war, träumt davon, US-Bürger zu werden und bei der amerikanischen Marineinfanterie anzuheuern. «Ich bin gerne Soldat, und die Marines sind einfach die besten», erklärt er schlicht. Sheridan ist dagegen im Gegensatz zu seinem ukrainischen Gegenüber ein glühender Patriot und wittert überall Feinde der USA. Als die Sprache auf den geplanten Grenzübertritt nach Libyen kommt, sagt er: «Es gibt zwar Leute, die meinen, dass auch (der libysche Staatschef Muammar) Gaddafi etwas mit dem 11. September zu tun hatte, aber das glaube ich eher nicht.» Den Ukrainer warnt er, «wenn du Marine wirst, dann schicken sie dich vielleicht eines Tages zum Kämpfen nach Nordkorea.» Der Soldat zuckt mit den Schultern. Weniger Gelassenheit legen unterdessen einige der mitreisenden Journalisten an den Tag. Einer von ihnen meutert: «Wo sind denn die Kamele, die ihr uns versprochen habt, wir müssen endlich Motive für Bilder bekommen.»

Heskel Nathaniel, der Breaking the Ice ins Leben gerufen hat, beschwichtigt. «Alles wird gut werden», ruft er einem sonnenverbrannten Journalisten zu, der Shorts trägt und nervös auf seinem Stuhl hin und her rutscht. Nathaniel, der 1962 in Haifa geboren wurde und mehrere Jahre in der israelischen Armee diente, bevor er nach Deutschland umzog, ist nicht leicht aus der Fassung zu bringen. Schließlich war es ihm 2004 auch gelungen, eine andere schwierige Friedensexpedition zum Erfolg zu führen. Damals hatten vier Israelis und vier Palästinenser in der Antarktis gemeinsam Kälte und Entbehrungen getrotzt. Doch die Unbarmherzigkeit des Eises war, so muss er eine Woche später feststellen, leichter zu überwinden als ein Machtwort Gaddafis. Nachdem die Truppe in Israel, den Palästinensergebieten, Jordanien und Ägypten mehr oder weniger

wohlwollend geduldet worden war, beißen die Abenteurer an der libyschen Grenze auf Granit. Als sie nach einer strapaziösen Tour durch die westliche Wüste Ägyptens schließlich den Grenzort Sallum erreichen, ist erst einmal Schluss. «Libyen heißt Euch mit offenen Armen willkommen, abgesehen von den Israelis, denn wir erkennen Israel als Staat nicht an und erlauben es keinen Besatzern, unser Land zu betreten», heißt es von libyscher Seite.

Die Gruppe beschließt: «Wir kehren alle um.» Statt eines Besuchs in Libyen soll nun eine «ruhigere Zeit» in Ägypten helfen, zumindest innerhalb des Teams «das Eis zu brechen». Doch Frustration macht sich breit. Wardak reist vorzeitig ab, weil die Einreise nach Libyen nicht funktioniert hat und weil er findet, dass die Gruppe ihr Ziel, wenigstens untereinander Frieden herzustellen, verfehlt hat. Und auch der Iraker Latif Yahia hat bald die Nase voll. Er will nach den Strapazen der letzten Tage jetzt erst einmal ein anständiges Essen und eine Dusche. Sein neuer palästinensischer Freund Al-Ardschah überredet ihn jedoch später zur Rückkehr. Doch nicht nur die Libyer machen Ärger. An der israelischen Grenze heißt es, Al-Ardschah und Yahia dürften, da sie nur ein Visum für eine einmalige Einreise bekommen hatten, nicht zurück an den Ausgangspunkt ihrer Reise. Da beschließt die Gruppe schließlich, ihre strapaziöse Tour auf dem ägyptischen Berg Sinai zu beenden. Sheridan, der fromme Feuerwehrmann aus New York, ist mit dieser Wahl eigentlich ganz zufrieden: «Gibt es eine bessere Stelle, als an einem Ort, der von allen drei Religionen (Judentum, Islam und Christentum) beansprucht wird?»

dpa abc xx fk