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Die Zeit: Verordnetes Nichtstun

Zur Schwarzarbeit eignen sich sozialversicherungsfreie Jobs am besten. Der Asylbewerber darf eigentlich nur maximal zwei Stunden am Tag arbeiten, um den monatlichen Höchstsatz von 580 Mark nicht zu überschreiten. Ob beim Putzen, Spülen oder Schleppen – es finden sich immer Stellen, die kein Deutscher oder anderer “Vorberechtigter” haben will. Also erhält der Asylbewerber vom Arbeitsamt eine entsprechende Arbeitserlaubnis, mit der er sich jedoch nicht zwei, sondern vier, sechs, acht Stunden in die Küche stellt oder den Boden schrubbt. Der Anreiz zu dieser Art der Schwarzarbeit ist leicht auszumachen: Die legal zu verdienenden 580 Mark liegen nur knapp über dem Sozialhilfesatz, der im Falle von “geringfügiger Beschäftigung” wegfällt. Der Arbeitslohn rechnet sich also ohne die illegalen “Überstunden” nicht. “Diese Schwarzarbeit passiert sehr häufig. Ich weiß nicht, in welchem Umfang, aber es ist lukrativ für den Flüchtling wie für das Unternehmen”, sagt Martin Garske. Und das Risiko ist gering: Wird der Asylbewerber von Mitarbeitern des Arbeitsamtes oder Hauptzolls überprüft, kann in den seltensten Fällen die Arbeitszeit kontrolliert werden.

Jedes Jahr fahren die Männer vom Hauptzollamt Sankt Annen mit ihrem VW-Bus knapp 10 000 Kilometer durch Hamburg. Sie müssen dabei rund 600 Baustellen und ungezählte Transportunternehmen nach Schwarzarbeitern durchkämmen. Vor zwei Wochen wurde sogar die Polizei zum zweiten Mal kontrolliert: Bei der erst kürzlich erfolgten ersten Prüfung konnten auf einer Baustelle in der Landespolizeischule Alstersdorf sieben illegale Arbeiter festgenommen werden. Fünfzehn Zollmitarbeiter schwärmten übers Gelände. Und sie wurden fündig: Ein Kurde sowie zwei Jugendliche aus dem ehemaligen Jugoslawien waren diesmal ohne Arbeitserlaubnis.

Der Zollinspektor, Chef der Truppe, ist zufrieden. Nicht etwa, weil er die drei Asylbewerber erwischt hat. Er ist es vielmehr, weil diesmal nur eine Ordnungswidrigkeit und keine Straftat vorliegt. “Hat ja anscheinend gelernt, ist ja fast sauber”, lautet sein Kommentar über den 22jährigen Türken, dessen Firma für den Außenputz der Gebäude und damit für die Schwarzarbeiter zuständig ist. So wird der “Jungunternehmer” noch einmal belehrt, daß zuerst eine Arbeitserlaubnis vorzuliegen hätte, wenn er ausländische Arbeiter einstellt. Mit einer harten Strafe hat er nicht zu rechnen. Bei Ersttätern wird das Verfahren in der Regel eingestellt, beim zweiten Vergehen kommt es zu Geldstrafen in Höhe von 3000 bis 5000 Mark. Dazu gesellen sich noch eventuelle Nachforderungen der AOK und des Arbeitsamtes über entgangene Beitragszahlungen.

“Das Problem liegt darin, daß die deutschen Gerichte Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung als Kavaliersdelikt behandeln”, sagt Heinz Seidel, der für Wirtschaftsrecht in der Bundesanstalt für Arbeit zuständig ist. Auch die Polizei ist unzufrieden mit der Bestrafung. Bislang sei es noch zu keiner Freiheitsstrafe für Arbeitgeber gekommen, beschwert sich Konrad Freiberg, stellvertretender Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei. Solange die Strafen mühelos aus der “Portokasse” zu bezahlen seien, “bleibt unsere Arbeit ein Kampf gegen Windmühlen”.

In der Baubranche wird die Kette der “Sub-Unternehmer” immer länger. Der Auftrag wird von Firma zu Firma durchgereicht, bis er irgendwann in die Hände von Wohnzimmer-Unternehmen gelangt – meist ehemalige Bauarbeiter und andere Fachleute, die von ihrem früheren Chef oder von der Arbeitslosigkeit in die Selbständigkeit getrieben worden sind. Da der Auftrag durch viele Hände geht, ist sein finanzielles Volumen am Ende gewaltig geschrumpft. Trotzdem will der Sub-Unternehmer so viel herausholen, wie es möglich ist. Die logische Folge: Schwarzarbeiter werden zu Stundenlöhnen von fünf bis zehn Mark beschäftigt. Die Leute sind leicht zu beschaffen. Jeden Morgen ab vier Uhr stehen beispielsweise Touristen aus Osteuropa und Asylbewerber auf dem “Arbeitsstrich” in der Hamburger Admiralitätsstraße, nach sechs Uhr sind in der Regel alle weg. Sozialarbeiter berichten auch von Kleintransportern und VW-Bussen, die morgens vor Asylbewerberheimen warten. Yahya Abdul erzählt von Mund-zu-Mund-Propaganda, mit deren Hilfe er seine illegalen Nebenjobs findet.

So richtig sauer ist niemand auf die schwarzarbeitenden Asylbewerber und osteuropäischen “Touristen”. “Arme Schweine”, findet der Zollinspektor. Der Leiter der Dienststelle für Arbeitsmarktdelikte im Hamburger Landeskriminalamt, Wolfgang Brauer, sagt es freundlicher: “Ich habe Verständnis für diese Menschen, sie sind nur Opfer. Die bösen Buben sind die Leute, die sie beschäftigen. Die Arbeitgeber verdienen das große Geld.” Auf dem Bau kassiert der Sub-Unternehmer in der Regel zwanzig Mark, er kann also aus einem Schwarzarbeiter pro Stunde zehn bis fünfzehn Mark herausholen. Wie hoch der Gesamtschaden ist, weiß niemand genau. Als Faustregel aber gilt, daß 10 000 Arbeitsplätze, die durch Schwarzarbeit verlorengehen, etwa 240 Millionen Mark weniger Steuereinnahmen und Sozialversicherungsbeiträge bedeuten. Wie viele Beschäftigte illegal in deutschen Gaststätten, Reinigungsfirmen und Bauunternehmen arbeiten, kann nur schwer geschätzt werden. Da die Dunkelziffer hoch liegt, bleibt viel Raum für Spekulationen. Johannes Jakob vom Deutschen Gewerkschaftsbund gehtvon einem jährlichen Schaden in Höhe von sechzehn Milliarden Mark aus: “In Relation zum Bruttosozialprodukt ist das nicht so eine große Summe.” Ganz anders sieht das Helmut Machleidt, Vizepräsident des Landesarbeitsamtes in Kiel, der die Verluste auf hundert Milliarden Mark beziffert: “Letztlich stehen unser soziales System und unsere Wirtschaftsordnung auf dem Spiel.”

Ob legale Arbeit von Asylbewerbern die Arbeitsplätze von Deutschen “wegnimmt”, darüber streiten sich die Fachleute. Zumindest verweigern die Arbeitsämter zunehmend Arbeitserlaubnisse mit Hinweis auf die Lohnkonkurrenz, die die Asylbewerber für andere Stellensuchende bedeuten. Sogar Yahya Abdul hat dafür Verständnis. Er würde es genauso machen, versichert er, man müßte das doch wirtschaftlich sehen, ein Deutscher sei doch viel leichter einzuarbeiten.

Weniger Verständnis zeigen jedoch die deutschen Arbeitgeber. Ob sich der Deutsche Bauernverband um billige Erntehelfer sorgt oder der Arbeitgeberverband Metall in Hessen ausländerfeindliche Tendenzen ausmacht, sie alle lehnen die strikte Regelung ab. Als “weltfremd” bezeichnet Lothar Arnold, Geschäftsführer des Hotel- und Gaststättenverbandes in Koblenz, die Vorschriften. Einer seiner Mitglieder, Hans-Joachim Mehlhorn, stellvertretender Geschäftsführer vom Hotel “Diehl’s” in Koblenz, brauchte vor zwei Jahren einen Monat lang eine Vertretung für den Hausmeister. Er wollte einen bosnischen Asylbewerber einstellen, durfte es aber nicht. Erst nachdem das Arbeitsamt vier deutsche Bewerber ankündigte, von denen auch zwei kamen, wobei sich allerdings einer als “sehuntüchtig” erwies und der andere als zu anspruchsvoll – das Tarifgehalt in Höhe von 1820 Mark brutto war ihm zu wenig -, durfte er den Bosnier einstellen.

Yahya Abdul muß noch drei Jahre durchhalten. Dann hat er Anspruch auf die “besondere Arbeitserlaubnis” und damit “erleichterten Zugang zum Arbeitsmarkt”. Ob das sein Ziel ist, weiß er nun nicht mehr. Zu groß ist seine Frustration, zu gering der Lohn für seine Mühe. Was er denn in nächster Zeit machen will? “Ich möchte am liebsten Gärtner werden. Ich mache und studiere und lerne, aber es kommt nichts dabei heraus. Aber als Gärtner, da sehe ich jeden Tag, was ich geleistet habe.” 

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