Junge Welt 25.10.2001: 20 Jahre Krieg in Afghanistan: Welche Perspektiven hat das geschundene Land?
jW sprach mit Yahya Wardak, Arzt am Hamburger Tropeninstitut. Er lebt seit Ende 1992 in der BRD, nachdem in Kabul die Linksregierung von Mudschaheddins gestürzt wurde
F: Afghanistan stand in der Vergangenheit nicht eben im Zentrum des Medien-Interesses. Nun scheinen alle überrascht, daß auch in Deutschland afghanische Flüchtlinge leben.
Insgesamt leben etwa 74000 bis 80000 Menschen aus Afghanistan hier, allein in Hamburg etwa 18000. Das ist die größte zusammenhängende afghanische Gemeinde in Europa.
Es gab drei große Wanderbewegungen von Afghanistan in die BRD. Schon in den 50er und 60er Jahren gab es gute Handelsbeziehungen.
Die BRD leistete damals viel Entwicklungshilfe in Afghanistan. Viele deutsche Hilfsorganisationen arbeiten seit langem dort. In Kabul gab es eine deutsche Schule. Die besten Schüler durften dann in der Bundesrepublik studieren.
Es gab Partnerschaften zwischen der Uni in Kabul und denen in Köln, Bonn und Bochum. Mit den afghanischen Studenten kamen damals auch Geschäftsleute, mit diesen der Import- und Exporthandel, z.B. Teppiche und getrocknete Früchte. Damals konnten afghanische Touristen ohne Visa drei Monate in der BRD bleiben.
Afghanistan war seinerzeit ein gefragtes Reiseland, das original orientalische Flair war sehr beliebt.
Afghanische Flüchtlinge gab es in diesen Jahren noch nicht. Die kamen erst später, mit der zweiten Migrationswelle. Und zwar nach dem Einmarsch der Sowjetarmee Ende 1979. Viele hatten hier studiert oder Geschäftsverbindungen. Unter diesen Flüchtlingen waren auch einige, die islamistischen Gruppierungen angehörten. Sie gründeten Vereine und Organisationen, um von hier aus den Widerstand gegen die afghanische Regierung und die damalige sowjetische Besatzungsmacht zu organisieren. Auch in Hamburg gab es Mudschaheddin-Büros. Von der Bundesregierung wurden sie als “Widerstandskämpfer” gefeiert und entsprechend unterstützt. Die nächste Welle kam dann nach ´92, als die Mudschaheddin die Linksregierung in Kabul stürzten. Diese islamistischen Gruppen wollten sich die Macht nicht teilen und haben sich gegenseitig den Dschihad erklärt. Das Land lag danach in Schutt und Asche, es wird von der Einäscherung Kabuls gesprochen. Darauf folgte eine Massenflucht. Diese Flüchtlinge haben ebenfalls in Deutschland ihre Vereine gegründet. Von den hier schon ansässigen islamistischen Gruppierungen wurden sie als Feinde betrachtet. Das führte dazu, daß die politische Auseinandersetzung auch in der BRD ausgetragen wurde.
F: Was empfinden Sie in diesen Tagen, in denen Afghanistan noch weiter zerbombt wird?
Viele von uns leben sehr lange hier. Auch wenn wir uns inzwischen in Hamburg zu Hause fühlen, ist Afghanistan doch immer noch ein Stück Heimat geblieben. Fast alle haben Verwandte und Bekannte in der Heimat. Häufig ist überhaupt nicht klar, was mit denen ist. Das beunruhigt die Menschen natürlich und macht uns tief betroffen. Viele von uns konnten sich trotz der Drohungen des US-Präsidenten George W. Bush nicht vorstellen, daß es zu Bombardierungen kommen würde. Ich hatte mir darüber allerdings keine Illusionen gemacht.
F: Afghanistan war ja schon vorher ein krisengeschütteltes Land. Gibt es überhaupt eine Perspektive?
Die grundlegende Voraussetzung für eine friedliche Lösung wäre, daß jegliche Waffenlieferungen gestoppt werden. Alle Staaten, egal ob Rußland, USA, Iran oder Pakistan verbinden damit nur ihre eigenen Interessen. Wenn diese Einmischung von außen beendet würde, könnte der Bürgerkrieg aus materiellen Gründen nicht mehr fortgesetzt werden.
Momentan ist natürlich das wichtigste, die Bombardierungen zu stoppen und den Menschen humanitäre Hilfe zu geben. Die Lösung kann nicht sein, eine der jetzigen Kriegsparteien, die Nordallianz, militärisch und wirtschaftlich zu unterstützen. Sondern die Bevölkerung muß selbst nach afghanischen politischen Regeln über ihre Zukunft entscheiden können. Das möglich zu machen, wäre zum Beispiel eine Aufgabe für die UNO. Dann könnten die NGO’s eine positive Rolle beim Wiederaufbau des Landes spielen.
Interview: Birgit Gärtner