DER SPIEGEL – Ausland – 21.09.2002
Exil-Afghanen in Deutschland setzen sich für den Wiederaufbau ihres Landes ein – aber nur wenige wollen zurück nach Afghanistan.
Exil-Afghanen in Deutschland setzen sich für den Wiederaufbau ihres Landes ein – aber nur wenige wollen zurück nach Afghanistan.
Amina und Mirwas sind wieder zu Hause. Fließendes Wasser haben sie zwar noch nicht in ihrem windschiefen Häuschen in Kabul. Doch besser als in den zwei winzigen Zimmern im Asylbewerberheim in München ist es allemal für das junge Paar mit den fünf Kindern.
12 000 Dollar hatten sie dem Schlepper gezahlt, damals vor sechs Jahren, als sie über Pakistan nach Deutschland flüchteten. Für die Rückkehr gab es nicht nur die Flugtickets, sondern auch 7000 Euro Wiedereingliederungshilfe vom Münchner Sozialamt. “Jetzt wollen wir helfen, unser Land aufzubauen”, sagt Mirwas, der als Rezeptionist einer Hilfsorganisation 200 Euro im Monat verdient.
Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) wünscht sich mehr Leute wie Amina und Mirwas. Afghanen, die in Deutschland Arbeitserfahrungen gesammelt haben, sollen zurück, um ihre zerstörte Heimat wieder aufzubauen. Im Gepäck deutscher Fleiß, deutsche Pünktlichkeit.
Zwei Millionen Euro stellt Berlin dieses Jahr für Rückkehrer-Programme zur Verfügung. Existenzgründer bekommen bis zu 10 000 Euro Starthilfe, Ausbildungen werden finanziert, und wenn eine Tischlerei neue Leute einstellen will, hilft das BMZ auch. “Wir wollen Steuerzahler erzeugen”, sagt Klaus Dünnhaupt, Geschäftsführer der Arbeitsgruppe Entwicklung und Fachkräfte (Agef) in Berlin, die Rückkehrer in Kabul betreut. Bis 2005 sollen so 5000 bis 8000 Rückkehrer “nachhaltig” die Wirtschaft Afghanistans ankurbeln.
Doch trotz solcher Finanzspritzen will nur ei-ne kleine Minderheit der rund 70 000 Afghanen in Deutschland zurück. Ins Agef-Büro in Kabul kommen etwa zehn Rückkehrer pro Woche, und weniger als 500 Afghanen meldeten sich in Deutschland für das Programm “Fachkräfte für Afghanistan”.
“Ich kenne kaum Afghanen in Deutschland, die bereit sind, ihre Zelte hier abzubrechen”, sagt der in Bonn lebende Arzt Yahya Wardak. Solange Warlords wie Raschid Dostam an der Regierung beteiligt seien, könne er sich nicht vorstellen, dauerhaft in Afghanistan zu leben.
“Helfen wollen alle, aber die wenigsten sind zu einer langfristigen Rückkehr bereit”, bestätigt Wagma Mohmand, 23, aus Köln. Die Studentin fliegt Ende September zu einer Jugendkonferenz nach Kabul. Dann will sie entscheiden, ob sie zurückkehrt in das Land, das sie im Alter von drei Jahren verlassen hat. Neugier klingt an, aber auch Skepsis und Angst. Ein Afghane, der seinen ersten Heimatbesuch in diesem Jahr schon hinter sich hat, wird konkreter: “Natürlich will ich in Afghanistan leben, aber Selbstmord will ich nicht begehen” – erst kürzlich riss eine Autobombe in Kabul 26 Menschen in den Tod.
Wardak, der Mediziner, weiß nicht so recht, was tun. Gewiss, er will seinem Heimatland helfen; gleichzeitig fühlt er sich nach zehn Jahren in Deutschland zu Hause. Wardak möchte die Regierung in Kabul beim Bau von Krankenhäusern beraten, “vorübergehend, für einige Wochen”.
Während für einfache Arbeitnehmer das Motto gilt, “erst die Rückkehr, dann das Geld”, findet die Auswahl von Fachkräften in Deutschland statt. Derzeit werden etwa 1000 Stellenangebote in Afghanistan geprüft. Nicht alle erweisen sich als sinnvoll. “Wozu braucht ein Ministerium 20 EDV-Kräfte, wenn es noch nicht mal Computer hat?”, wundert sich Dünnhaupt. Knapp über 30 Stellen wurden bislang besetzt.
Der Psychiater Azam Dadfar ist skeptisch: “Es gibt in Afghanistan auch ohne die Rückkehrer genügend qualifizierte Leute. Was fehlt, sind die Jobs.” Tausende Lehrer seien allein in Kabul auf Arbeitssuche. Dadfar, der zum Vizepräsidenten der Loya Jirga, der Großen Ratsversammlung, gewählt wurde, diagnostiziert bei den ExilAfghanen “eine Phase der Enttäuschung”. Die Hoffnungen nach dem Sturz der Taliban seien realistischen Abwägungen gewichen: Kann ich in Afghanistan meine Familie ernähren? Können die Kinder zur Schule gehen? Sind Frauen vor dem Einfluss fundamentalistischer Sittenwächter sicher? Meist lautet die Antwort Nein.
Auch Dadfar ist wieder abgefahren, nach Hamburg zu seiner Frau und den Kindern. Eine dauerhafte Rückkehr knüpft er an die systematische Entwaffnung in ganz Afghanistan: “Ohne Entwaffnung keine Zukunft.”
Nicht immer werden die Heimkehrer mit offenen Armen empfangen. Manchen wird vorgeworfen, sich ins Exil davongestohlen zu haben und nun die besten Jobs absahnen zu wollen. Andere kommen mit den schwierigen Lebensumständen nicht zurecht. Viele genießen zudem das Privileg, nach Deutschland zurückkehren zu können. Paul Oosterbeek, Leiter des Kabuler Agef-Büros, kennt viele, die “zu einer Art Ferienbesuch nach Kabul kommen”. Rückkehr auf Probe.
Für rund 9000 Afghanen in Deutschland wird es indes bald heißen: Rückkehr durch Zwang. Ihr Asylgesuch wurde abgelehnt, sie werden nur geduldet. Noch. Experten rechnen damit, dass der Abschiebestopp nach Afghanistan in der kommenden Legislaturperiode aufgehoben wird.
Die Bundesregierung hofft gleichwohl weiter auf Freiwillige wie Amina und Mirwas. “Diese Rückkehrer sind Pioniere”, sagt Michael Bohnet, Sonderbeauftragter des BMZ für den Wiederaufbau Afghanistans, “wenn sie die Not vor Ort sehen, dann explodieren sie vor Aktivität.” Von Moritz Behrendt